Mit Musik, die sowieso keiner kannte, als Hintergrundbeschallung, lag Kadar bäuchlings auf seinem Bett und las eines seiner neuen Gedichtsbände, welche er in diesem kleinen Laden in der Seitengasse gefunden hatte.
Als Malik nach ihm rief, wäre er vor Schreck fast vom Bett gefallen. Maulend stand er auf und riss die Tür auf, um ins Wohnzimmer zu gehen. "Musst du immer so rumschreien?", fragte Kadar genervt und verdrehte dabei die Augen. Malik musste gleich immer so übertreiben. Sein Smartphone war nicht mal auf Laut gestellt und er hatte das gleiche Recht, seine Sachen ins Wohnzimmer zu legen. "Wieso lernst du eigentlich nicht in deinem Zimmer?"
Er riss ihm sein Smartphone aus der Hand und schaute direkt auf den Bildschirm. Neben mehreren Nachrichten in seinen Whatsapp-Gruppen - es waren bestimmt über 30 Mitteilungen - war auch eine SMS von Altaïr dabei. Grinsend öffnete Kadar die Nachricht und versuchte seinen Bruder so gut er konnte zu ignorieren.

Alex hob eine Augenbraue als er Desmond ansah. Er wusste nicht genau, was er von diesem halten sollte, aber zumindest behandelte Desmond ihn wie einen normalen Menschen. Er zuckte nur mit den Schultern. "Ich hab viel zu tun, da vergisst man das manchmal." Gefliessentlich überging er den ersten Teil, schön, dass er endlich einen Freiwilligen gefunden hatte. Er tastete in der Box, in der sich gerade eben noch Wings befunden hatten und musste feststellen, das sie leer war.
Missmutig setzte Alex sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl und rollte zu seinem Laptop. Als er zu tippen begann, merkte er, dass seine Finger noch fettig waren. Er verzog angewiedert das Gesicht und drehte sich zum Waschbecken um, nur um festzustellen, dass die Seife leer war.
Seufzend sah er zu Desmond. "Da waren keine feuchten Tücher dabei, oder?", seine Miene war dabei ausdruckslos.

"Du vergisst es?" baff starrte Desmond zum anderen rüber.
"Wie kann man vergessen, was zu essen zu sich zu nehmen? Ich mein... Ich hatte auch Zeiten, in den ich nicht oft gegessen hab, aber das war, weil ich von zu Hause abgehauen war und mich ein paar Tage irgendwo verschanzt hatte und eben kein Geld für was zu Essen hatte, aber vergessen? Wow."
Er beobachtete, wie Alex angewiedert seine Hände ansah, während er genüsslich seine Reste fertig Aß.
"...Tücher? Doch, ich glaube, die hab ich eingepackt... Zumindest hätte ich es müssen..."
Er kramte in der Tüte zwischen den leeren Packungen und dem Plastik, bis er ein kleines Päckchen fand.
"Hier!"
Er warf Alex das kleine Päckchen feuchte Tücher zu, an das Desmond tatsächlich noch gedacht hatte.
Er überlegte kurz, öffnete dann seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Sollte er weiterhin versuchen, ein Gespräch zu führen? Alex schien nicht gerade angetan von ihm zu sein. Andererseits hatte er ihm kostenloses Essen gebracht und Desmond hatte sein knapp einer Woche mit niemandem mehr geredet, außer seinen Chefs und eventuell mit ein paar Gästen, um ein bisschen mehr Trinkgeld zu bekommen. Er hatte nie viel Kontakt zu den Auditores gehabt, da er das nie durfte und sie erst vor wenigen Jahren aus Italien hier her gekommen waren und Altair war derzeit zu beschäftigt, um sich mit seinem kleinen Cousin (oder Ziehbruder, wie Umar es manchmal sagte) zu beschäftigen, weil gerade Prüfungszeit war.
Desmond verzog sich kurz das Gesicht und beschloss dann, es doch noch mal mit einem Gespräch zu versuchen.
"Sag mal... Wenn du hier an der Uni bist, studierst du doch sicher, oder? Ich mein, alt siehst du ja nicht aus, also... hast du dann theoretisch nicht auch derzeit super den Prüfungsstress?"
Er griff nach der Flasche Coke in seinem Rucksack und nahm einen Schluck, während er auf Alex' Antwort wartete.

"Schon gut, ich weiß was du meinst", unterbrach er den aufkommenden Wortschwall Leonardos und legte ihm stattdessen die Mappe hin.
"Ich designe Kleider! Jeder Frau sollte schöne Kleider tragen können, damit sie wunderschön aussieht, si?", erzählte er charmant grinsend und umging dabei elegant das Thema des studierens.
Erst mal abwarten, Leonardo musste ja nicht sofort wissen, dass er gar kein Student war.
Wobei es ihm vermutlich sogar egal war.

Empört sah Kadar seinen Bruder an und löste dafür sogar seinen Blick vom Handy. "Was soll das den heißen?!", keifte er und ballte seine freie Hand zu einer Faust.
Ja, er war nicht gut in der Schule, kein so ein toller Überflieger wie sein Bruder, der immer nur Einsen und ab und an eine Zwei nach Hause gebracht hatte. Vielleicht wäre er sogar besser, wenn er auch mal lernen würde, aber dazu hatte er schlicht und einfach keine Lust.
Trotzdem wollte er das bestimmt nicht von seinem Bruder hören. Und schon garnicht auf diese Art und Weise. Kadar verzog sein Gesicht zu einer trotzigen Miene. "Im Gegensatz zu dir führe ich zumindest etwas, das sich Leben nennt. Ich hab nicht vor mal ein Buch zu heiraten!"

Alex ging nicht weiter darauf ein, dass man - wenn auch für viele unfassbar - tatsächlich vergessen konnte, dass man Nahrung zu sich nehmen musste. Er hatte schon sehr früh bemerkt, dass er damit auf Unverständniss stieß, selbst bei anderen schwer beschäftigten Forschern.
Er beäugte Desmond kurz mit schmalen Augen, als dieser erwähnte, öfter zu Hause ausgerissen zu sein. Auch keine tolle Kindheit gehabt, was?
Ungeschickt fing er das Päckchen auf und riss es auf, um sich eines der beiden Tücher herauszunehmen. Mit dem einen wischte er kurzerhand über seine Tastatur, bevor er mit dem zweiten Tuch seine Finger säuberte.

Alex starrte ihn für einen Moment schweigend an. "Ich schreibe meine Doktorarbeit und studiere nebenbei Medizin", erwiederte er emotionslos und steckte seine Hände in die Taschen seines Kittels. Es war ungewohnt für ihn, über sich selbst zu reden. Die meisten interessierte es nicht oder er wollte ihnen nichts über sich erzählen. Wie seiner Bewährungshelferin, die seiner Meinung nach zu neugierig für ihre eigene Gesundheit war. Irgendwann würde sie große Probleme bekommen. Nicht unbedingt mit ihm, nein, eher mit ihrem gesammten Umfeld.
Er mied Desmonds Blick und setzte sich wieder auf den Tisch. Bis der andere fort war, konnte er es sowieso vergessen auch nur einen Satz zu schreiben oder eine Berechnung fortzuführen. "Prüfungsstress habe ich nicht. Der entsteht nur, wenn man mit dem Stoff nicht hinterherkommt und nicht alles zeitnah durcharbeitet."

Desmond merkte, dass Alex anscheinend eher ungern darüber sprach und lies das Thema dann einfach fallen.
"Doktorarbeit? Schreiben die die meisten nicht mit 40 oder so? So alt siehst du gar nicht aus!"
Er grinste aufmunternd zu Alex, um ihm verstehen zu geben, dass er nur scherzte, und fischte selbst nach den anderen Erfrischungstüchern in der Tüte.
"Aber Respekt, wirklich! Ich hätte nicht gedacht, dass zwischen diesen Großmäulern tatsächlich mal einer ist, der auch was macht und nicht nur schwafelt." Aufmunternd gab Desmond dem anderen einen leichten, freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Erstaunt hört er den Ausführungen von Alex über den Prüfungsstress zu.
"Wow, du scheinst wirklich was auf dem Kasten zu haben! Ich hatte ja schon in der Mittelstufe immer Stress kurz vor den Sommerferien, obwohl mich mein Vater dazu genötigt hat, jeden Tag mehrere Stunden zu lernen. Aber, tja, ich war eben noch nie der begabteste, denk ich..."
Er lachte wieder kurz auf, um den Moment wieder aufzulockern, weil er wirklich nicht wirken wollte, als würde er sich selbst bemittleiden oder sich selbst schlechter machen oder darstellen als er sei.
"Hängst du eigentlich immer im Labor rum?"
Er versuchte, das schweigen zwischen den beiden erneut zu brechen und sah sich interessiert im Raum um.
"Wenn man so viel zu tun hat, fällt es einem wohl leicht, alles um sich rum zu vergessen, was?" Er sah Alex unamüsierten Blick und merkte, dass er wohl fehl am Platz war.
"Und da du so viel zu tun hast, sollte ich besser gehen, oder?"
Er stand von seinem Stuhl auf und suchte den Müll zusammen, den er dann in den kleinen Mülleimer in der Ecke des Labors in der Nähe der Tür warf.
"Wenn du... Wenn du willst, kann ich die Tage wieder was zum Essen vorbeibringen, damit du es nicht wieder vergisst, wie hört sich das an?"
Er grinste freundlich zu dem anderen, der immernoch auf seinem Platz saß.
"War wirklich nett heute, mal sehen, wann ich wieder 'ne falsche Lieferung bringe, oder zu viel zu Mittag mitbekomme, ja?"
Er hob die Hand als Abschiedsgeste, während er den Raum verlies.

Leonardos Augen leuchteten begeistert auf.
"Oh! Tust du das? Das hört sich gut an! Dann verstehst du wenigstens, wie wichtig es ist, dass du jetzt hier bist, no?" Wie durch Zufall fiel Leonardos Blick auf seine recht Antik aussehende Armbanduhr, die er vor längerer Zeit aus verschiedenen Einzelteilen selbst zusammen gebaut hatte, nachdem er sich für einige Wochen sehr für den Uhrbau interessiert und sich alle möglichen Bücher zum Thema durchgelesen hatte, und sich dann natürlich sofort selbst ans Werk machen musste, um sein neues Wissen zu testen.
"Oh, die Zeit, wir sollten uns langsam mal auf den Weg machen, findest du nicht? Ich meine, der Kurz fängt zwar erst in 10 Minuten an, aber ich bin ja sonst nicht zu früh, und man kann ja mal eine Ausnahme machen, findest du nicht?" Er lachte kurz und ehrlich auf. "Vor allem, weil ich dich ja beeindrucken muss, wenn du dir extra für mich eine Auszeit vom eigenen kreativen Schaffen machst."
Er lächte Ezio an und lief vor ihm her, um ihm den Weg zu dem Raum zu zeigen, in dem bald sein Kurs beginnen würde.
"Du musst übrigens nichts machen, was du nicht willst, okay? Also musst du dir keine Sorgen machen, für irgendwas zugesagt zu haben, was du überhaupt nicht willst."
Gerade als ihm fast nichts mehr zu reden einfallen wollte, kam ihm noch ein Gedanke, den er schnell loswerden wollte, bevor es später zu peinlichen Momenten kam.
"Lass dich übrigens von den Studenten nicht ausfragen, und ignorier am besten, was sie so sagen, si? Sie... machen gern Scherze, über die Modells, die ich... die ich ab und an mitbringe, aber lass dich davon nicht verwirrend? Gut? Okay, dann wäre das ja geklärt, nicht war?"
Die beiden betraten den Raum, in dem Leonardo erstmal seine Unterlagen und seine Taschen auf dem Pult ablegte. Der Raum war recht spärlich eingerichtet, mit einigen Regalen an den Wänden, mit Mal- und Zeichenutensilien und ein paar zusammen gerollten Bildern, einigen Pultstühlen und einem größerem Tisch, um den ein paar einzelne Stühle standen. Der Raum war dank großer Fenster und seinem Standort recht weit oben, sehr gut ausgeleuchtet, leider aber auch um einige Grad wärmer als die kühle Caféteria, in der eine Klimaanlage hing, die im Sommer für angenehme Temperaturen sorgte.
Leonardo begann als nächstes, die großen, leicht staubigen Fenster aufzureißen, da draußen, trotz Sommerhitze wenigstens nich ein kühler Wind wehte, den er sehr gerne im Raum haben wollte.
"Wenn es dir gefällt, kannst du auch gerne öfter herkommen, was hälst du davon? Es ist heute übrigens das erste Mal seit langem, dass die Studenten mal wieder ein lebendes Modell haben, also denke ich , dass ein paar schnelle Posenskizzen am Anfang zum auflockern ganz gut sind. Außerdem musst du dann nicht sofort unglaublich lange still halten, ist also auch in deinem interesse, si?"
Breit lächelnd drehte er sich zu Ezio um und wartete auf eine Antwort oder zumindest eine Reaktion.

Kadar hob skeptisch seine Augenbrauen, als sein Bruder so hinausrauschte.
Vielleicht hatte er es etwas zu weit getrieben. Vielleicht war ihm das aber gerade etwas egal.
Wenn er es wagen würde Malik in den nächsten paar Stunden anzusprechen, dann wäre er sowieso einen Kopf kürzer.
Später würde er sich bei ihm entschuldigen. Und vielleicht das Wohnzimmer aufräumen, aber nur vielleicht, er wollte ja nicht gleich übertreiben.
Jetzt galt seine volle Aufmerksamkeit der SMS von Altaïr.
Geschwind flogen seine Finger über den Touchbildschirm, um eine Antwort zu schreiben.
Als er fertig war, steckte er grinsend sein Handy in seine Hosentasche. Dann hatte er in einer Stunde wohl ein Date mit Altaïr.